Auf Social Media geht es aktuell heiß her: Rage Baiting ist der Trend, bei dem gezielt provozierende Inhalte veröffentlicht werden, um starke Emotionen wie Wut oder Empörung auszulösen. Es funktioniert – zumindest, wenn man Reichweite und Interaktionen als Maßstab nimmt. Doch ist das wirklich „erfolgreiches“ Marketing?
🧠 Warum Rage Baiting so effektiv ist
Rage Baiting ist eine gezielte Strategie, die auf Erkenntnissen der Neurowissenschaft beruht. Unser Gehirn reagiert stärker auf negative Reize als auf positive – ein Effekt, der als Negativity Bias bekannt ist. Diese tief verwurzelte Eigenschaft unseres Denkens hatte evolutionär ihren Nutzen: Sie half unseren Vorfahren, Gefahren zu erkennen und zu vermeiden. In der digitalen Welt wird dieser Mechanismus jedoch gezielt ausgenutzt.
Posts, die Empörung, Wut oder Angst hervorrufen, lösen starke emotionale Reaktionen aus, die Menschen zum Kommentieren, Teilen und Diskutieren anregen. Der Algorithmus sozialer Medien erkennt diese Interaktionen als Engagement und belohnt sie mit größerer Reichweite. So entsteht eine toxische Dynamik, die auf Spaltung und Kontroversen basiert.
📚 Von Bernays bis heute: Problematische Grundlagen
Die Idee, Massen gezielt zu beeinflussen, ist keine neue Errungenschaft. Schon in der Antike nutzten Redner wie Demosthenes oder Cicero rhetorische Strategien, um ihre Zuhörerschaft zu überzeugen und gesellschaftliche Meinungen zu formen. Doch erst im 19. Jahrhundert begann Gustave Le Bon, diese Phänomene systematisch zu untersuchen. Mit seinem Werk Psychologie der Massen (1895) legte er die theoretischen Grundlagen, indem er aufzeigte, wie Gruppen durch Emotionen und einfache Botschaften gelenkt werden können.
Edward Bernays, der als „Vater der modernen PR“ gilt, griff diese Ideen auf und entwickelte sie weiter. Inspiriert von Le Bon und den psychoanalytischen Theorien seines Onkels Sigmund Freud, schuf Bernays Methoden, um Massenkommunikation gezielt für wirtschaftliche und politische Zwecke einzusetzen. Sein Buch Propaganda (1928) beschreibt, wie durch gezielte Manipulation von Emotionen und Bedürfnissen öffentliche Meinungen gestaltet werden können.
Bernays‘ Ansätze revolutionierten die PR-Branche, sind jedoch bis heute umstritten. Seine Techniken wurden nicht nur genutzt, um Produkte zu vermarkten, sondern auch, um schädliche Industrien wie die Tabakbranche zu fördern. Diese Verbindung von Massenpsychologie und Manipulation hat eine Ethikdebatte ausgelöst, die bis heute anhält.
Während die Antike und Le Bon die Grundlagen schufen, prägte Bernays die systematische Anwendung dieser Erkenntnisse – und setzte damit Standards, die sowohl Potenzial als auch Gefahren für die moderne Kommunikation offenbaren.
⚖️ Ethik in der Kommunikation
Die Frage, die wir uns stellen müssen, lautet: Ist Reichweite der einzige Maßstab für Erfolg? Ja, Rage Baiting generiert Aufmerksamkeit. Aber zu welchem Preis? Inhalte, die auf Provokation, Manipulation oder der Herabsetzung von Nutzer*innen basieren, untergraben langfristig Vertrauen und schaden nicht nur der Marke, sondern auch der Gesellschaft.
Als Kommunikationsprofis tragen wir Verantwortung. Wir haben die Möglichkeit, nicht nur Narrative zu formen, sondern auch Werte zu vermitteln. Und genau hier liegt der Unterschied: Wollen wir Spaltung und Negativität fördern – oder authentisches Wachstum und gesellschaftlichen Zusammenhalt?
🌱 Mein Ansatz: Werteorientiertes Marketing
Ich glaube an einen Ansatz, der auf Respekt, Authentizität und langfristigem Vertrauen basiert. Marketing sollte nicht nur verkaufen, sondern auch einen positiven Beitrag leisten. Es geht darum, Unternehmen zu stärken, die mit Klarheit, Transparenz und echten Werten arbeiten.
Ethisches Marketing bedeutet, Menschen in den Mittelpunkt zu stellen – nicht als Zielgruppe oder gesichtslose User*innen, sondern als Individuen, die es verdienen, respektvoll behandelt zu werden. Kommunikation sollte Brücken bauen, statt Gräben zu vertiefen. Mein Ziel ist es, Marken zu stärken, die Verantwortung übernehmen und mit einer klaren Wertebasis auftreten. Denn echte Wirkung entsteht durch Vertrauen – nicht durch kurzfristige Provokation.
📢 Lasst uns die Standards neu definieren!
Es liegt in unserer Hand, den Unterschied zwischen kurzfristiger Reichweite und langfristigem Erfolg zu erkennen. Kommunikationsprofis haben die Möglichkeit, nicht nur Geschichten zu erzählen, sondern auch neue Standards zu setzen. Lasst uns mutig sein, Taktiken abzulehnen, die spalten, und stattdessen für eine Kommunikation einstehen, die auf Ehrlichkeit, Klarheit und Nachhaltigkeit basiert.
Die Macht der Kommunikation ist unbestritten – und mit ihr die Verantwortung, wie wir sie einsetzen. Statt alte, manipulative Muster zu wiederholen, können wir einen neuen Weg einschlagen: einen, der die Menschen respektiert, echte Verbindungen schafft und positive Veränderung ermöglicht. Denn letztlich zeigt sich der wahre Erfolg nicht in kurzfristigen Zahlen, sondern in der Qualität der Beziehungen, die wir aufbauen.
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